Predigt am 17. Mai 2020 (Rogate)
– Open-Air-Gottesdienst Pfaffenhofen 9.30 Uhr
Predigtwort: Luk. 11, 5-13
Prediger: Eberhard Hadem
Liebe Gemeinde
Es ist etwas Geheimnisvolles, einem Menschen beim Beten zusehen zu dürfen. Ich erinnere mich, dass ich als Kind ab und zu meinem schwerhörigen Großvater beim Beten zugeschaut habe, wie er am Küchentisch saß, in seiner Bibel gelesen und dann flüsternd gebetet hat. Viel verstanden habe ich nicht, akustisch nicht und den Sinn seiner Bitten habe ich auch nicht immer begriffen. Als Kind mag man gar nicht mehr wegschauen, weil ein betender Mensch so anziehend ist. Als Erwachsener dagegen ist man so angerührt, das man eher wegschaut, um Beter oder Beterin nicht zu stören, dass die eigene Anwesenheit sie oder ihn ablenken könnte. Man ist ein bisschen verlegen, vielleicht ist es einem auch peinlich. Vielleicht weckt es auch eine Sehnsucht in uns, ohne dass wir wissen, wohin sie uns führen will.
Das 11. Kapitel des Lukasevangeliums beginnt mit den lakonischen Worten: Und es begab sich, dass Jesus an einem Ort war und betete. Als er aufgehört hatte, sprach einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten. Obwohl die Bibel ein Buch voller Gebete und Psalmen ist, erfahren wir nur selten etwas darüber, was Jesus gebetet hat. Die Jünger haben zugesehen, wie Jesus betet und bitten ihn: ‚Bring es uns auch bei, das Beten’. Das Wie des Betens rührt etwas an bei ihnen. Und Jesus gibt ihnen Antwort, kurze prägnante Sätze, knapper Text, leicht nachzuvollziehen, gut mitzusprechen, was sie beten sollen, mit den uns bekannten Worten des Vaterunsers. Und er fährt dann fort, über das Wie des Betens zu sprechen:
Und Jesus sprach zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf.
Da ist der Reisende, der offenbar unangemeldet und mitten in der Nacht zu seinem Freund kommt, um aufgenommen zu werden. Man hat ihn begrüßt, hereingebeten, vielleicht hat man ihm die Füße gewaschen, vielleicht ihm gar ein neues Hemd angeboten, frische Kleidung, und jetzt sitzt er da oder liegt schon zu Tisch, aber es gibt nichts zu essen. Er bringt seinen Gastgeber in nicht geringe Verlegenheit: Alles ist aufgegessen, was für den Tag zur Nahrung vorgesehen war. Vielleicht ist es dem Reisenden selbst peinlich, dass er nun da ist, hungrig, müde, ein Gast eben, mit Bedürfnissen.
Da ist auch der Freund, der Gastgeber, den es zu später Stunde dumm getroffen hat. So besonders viel fällt ihm nicht ein zur Lösung. Wo soll er denn noch etwas besorgen? Er ist hin- und hergerissen: Alle Läden sind zu, alle Nachbarn schlafen, aber der Reisende, der hungrige Freund sitzt hier und soll doch versorgt werden. Dort die Nachbarn, man sieht sich täglich, ist aufeinander angewiesen, eigentlich undenkbar, um diese Zeit zu stören. Zugleich aber auch der Gedanke: Es gibt eine Chance; wo soll er, wenn nicht bei ihnen nachfragen? Also macht er sich doch auf, geht hinüber zum Nachbarn, Mitternacht ist inzwischen, alles ist dunkel und dessen Familie schläft.
Und der Familienvater im Nachbarhaus schreckt auf, tatsächlich, da hat sich jemand an der Tür bemerkbar gemacht, da will einer was, unglaublich: Lieber Freund, hört er's rufen, leih mir drei Brote. Ein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann. – Das ist doch nicht möglich, mag er denken. Gute Nachbarschaft ist das Eine, aber doch nicht jetzt, mitten in der Nacht! Deshalb ruft er nach unten: ‚Alles ist zu. Ich kann nicht öffnen. Die Kinder schlafen. Ich weck' sie auf, wenn ich aufstehe.‘ Aber der da unten rumpelt und ruft weiter, leise zwar, aber drängend.
Es ist genau diese drängende Stimme, die ihn aufstehen lässt; die Stimme und vielleicht auch der Mut des Bittenden. Denn der andere da unten bittet ja nicht für sich selbst, sondern für einen Freund, der gekommen ist, einen Gast, einen Reisenden, wer weiß, wo der herkommt, was er hinter sich hat, so ohne weiteres wandert niemand hungrig durch die Nacht. Vielleicht hat er sich verlaufen oder bringt eine dringende Botschaft oder ist in Schwierigkeiten – okay, okay, Brot also. Und er steht vorsichtig auf, tastet sich Richtung Treppenabstieg, ganz leise, um unter den Kindern kein Weinen oder Gebrüll auszulösen.
Und die Kinder, blinzelnd und schlaftrunken bleiben sie offenbar doch erst mal liegen, es hat geklopft und gerufen, sie warten ab, was sich entwickelt. Und erleben: Nach einigem Hin- und Her steht der Vater auf, steigt nach unten. Er schimpft vielleicht leise und brummelt vor sich hin. Sie hören, wie der Vater vom Schlafplatz auf dem Dach heruntersteigt. Sie ahnen wegen der Geräusche, die der Vater macht, dass er jetzt im Vorbeigehen drei handgroße Brotlaibe aus dem Netz nimmt, das an der Decke zum Schutz vor Ungeziefer und Tieren aufgehängt ist. Dann hören sie, wie er die Tür entriegelt und mit dem seltsamen Besucher der Nacht noch flüstert. Der Vater kommt zurück, immer noch brummelnd. ‚Alles in Ordnung‘, beruhigt er seine Lieben, von denen das eine oder andere sich vielleicht nun doch auch aufrichtet. Damit geben sich dann auch die Kinder zufrieden. Es hat also ein bittender Nachbar Brot bekommen, mitten in der Nacht. Ein bisschen seltsam, aber gut so. Sie haben gelernt, wie Kinder – und auch Erwachsene – immer lernen, wenn sie einer Situation neu gegenüberstehen: Es ist richtig, einem anderen was zu geben. Es ist unangenehm und ärgerlich, zu unpassender Zeit, aber der Vater hat es so gemacht, und so werden sie es dann wohl auch zu machen haben, wenn ihnen Ähnliches einmal begegnet. Aufmerksam hören, Kinder schützen, Rücksicht nehmen, hinabsteigen, Brot nehmen, geben. So ist alles in Ordnung. – Vielleicht haben auch die Jünger genickt. Und Jesus sagt:
Ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? Oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete?
Bitten, so dass es fast schon nervig ist. Quengeln, nicht locker lassen. So empfiehlt es uns Jesus. Man kann dagegensetzen: Bringt es denn immer was? Das Beten? Die Kritiker des Betens sagen: Es ist sinnlos, nutzlos, Selbstgespräch, Zeitvergeudung. Die Welt bleibt, wie sie ist, nichts ändert sich. Stimmt das? Was stimmt, ist dies: Gebete, die unerhört bleiben, sind eine Anfechtung. Man kann enttäuscht sein, ganz direkt von Gott enttäuscht sein. In der Bibel lässt sich solche Enttäuschung auch finden, am tiefsten in den Worten Jesu am Kreuz selbst: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Aber auch das Andere: Menschen, deren Gebet nicht erhört wurde, machen andere Erfahrungen. Eine Familie hat einen Jungen, 17 Jahre alt. Er hat seit Jahren eine seltene Form von Krebs, wurde schon oft operiert. Die Familie, die Verwandten und Freunde beten darum, dass er doch noch gesund werden kann. Sie beten beharrlich. Aber es wird immer schlechter mit seinem Gesundheitszustand. Er ist Dauerpatient in der Klinik. Dort hat er seine Bücher und seinen Laptop, das ist sein Zuhause. Er weiß, dass er sterben wird. Er bittet Leute, die ihm wichtig sind, ihn noch mal zu besuchen. Bei manchen sagt er auch ganz selbstbewusst: Nein, der soll nicht kommen. Er sieht dem Tod ins Auge, ohne bohrenden Zweifel, aber immer wieder auch mit Angst. Und doch: Wer ihm nahe ist, spürt sein Gottvertrauen, dass letztlich für ihn gesorgt ist und er nicht ins Bodenlose fällt, wenn er stirbt. Und dann ist sein Leben zu Ende, mit 17 Jahren. Die um ihn trauern, sagen: Er hat uns so viel gegeben. Er hat unseren Glauben gestärkt. Und seine Fröhlichkeit werden wir nie vergessen.
Ich könnte es verstehen, wenn die Familie sagen würde: ‚Es stimmt nicht, dass, wer bittet, auch empfängt’. Dass sie den Tod ihres Jungen so empfinden, als sei ihnen doch die tödliche Schlange statt des nahrhaften Fisches, und der giftige Skorpion statt des stärkenden Ei gegeben worden. Bitte missverstehen Sie mich nicht, liebe Gemeinde: Die besonderen Erfahrungen der Familie sind keine Begründung dafür, dass dieser Junge hat sterben müssen. Das wäre menschen- und gotteslästerlich. Ich will auch nicht glauben, dass es Gott in irgendeiner Weise gefallen könnte, einen jungen oder wie auch immer alten Menschen wieder zu sich zu nehmen; als würde Gott mit uns spielen. Ich verstehe hier so wenig wie die Familie des Jungen es verstanden hat.
Doch ich würde gerne die Familie fragen: War euer beharrliches Gebet wirklich nutzlos? Wie habt ihr es erlebt? Ist es nicht erhört worden? Oder vielleicht doch? Nur auf andere Weise? Was waren die Bitten eures Sohnes? Wofür habt ihr gebetet, als ihr wusstet, dass es doch endgültig zu Ende gehen wird?
Zum Schluss der letzte Satz der Rede Jesu über das Beten:
Wärt ihr auch böse Menschen, so würdet ihr euren Kindern gute Gaben geben, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
Wenn schon böse Menschen gute Gaben geben, um wie viel mehr wird dann der Vater im Himmel, wie viel mehr wird dann Gott den Heiligen Geist denen schenken, die ihn bitten. Das ist die gute Botschaft, das Evangelium des heutigen Sonntags, der den lateinischen Namen ‚Rogate‘ hat, was eine Aufforderung ist und auf Deutsch heißt: ‚Bittet‘. Das gilt es zu erfassen und ergründen: Es ist nicht so, dass ich Gott um alles bitten kann und ich muss es nur beharrlich genug tun, so wird er es mir geben. Sondern mein Bitten soll ein Suchen und ein Anklopfen sein und was ich dann immer und auf jeden Fall bekomme, wird – der Heilige Geist sein.
So hat Jesus es vorher gesagt: Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Was ich empfange und was ich finde und was mir aufgetan wird – sich wie eine Tür auftut, die mir vorher verschlossen war – ist der Heilige Geist. Wie ist das gemeint? Als Kinder wollen wir alles, was wir uns nur wünschen können. Erst im Lauf unseres Lebens merken wir, dass wir lebenslang herausfinden werden, was wir uns wirklich wünschen wollen. So mancher wünscht sich beim Älterwerden, dass sein Leben noch viele Tage hat. Wer wünscht sich das nicht? Aber der Wunsch, dass die eigenen Tage möglichst viel Leben haben, geht tiefer, geht ans Innere, ans Eingemachte, an das, was uns wirklich wichtig werden kann.
Sören Kierkegaard hat einmal gesagt, dass sein Beten immer weniger ein Reden mit Gott als ein Hören geworden ist. Gott gibt uns den heiligen Geist, der uns leitet und tröstet, und der Wege mit uns geht, seien sie noch so holprig; der uns Wege und Ziele sehen lässt, die uns vorher verborgen und verschlossen waren. So wie sich dem, der anklopft, die Türe öffnet. Der Heilige Geist zählt deine Tränen, feuchtet mit ihnen die Erde deines Herzensgartens, damit aus ihnen Samen wird, der unscheinbar und langsam wächst, bis die Garben wieder im Sonnenlicht stehen und du mit Freuden ernten wirst (s.u.).
Was also bekam der quengelnde Gastgeber, der seinen Nachbarn um drei Brote bat? Er bekam den Heiligen Geist, in Brotform. Denn der Heilige Geist brachte ihn dazu, all seine Ängste, dass ihm der Nachbar böse sein könnte, hintenan zu stellen. Er hat seinem Nachbarn etwas zugemutet und beide wurden belohnt in ihrer Solidarität. Weil der Bittende Mut fasste und darauf gesetzt hat, dass sein Nachbar ihm nicht die gute Nachbarschaft aufkündigt. Er ließ sich vom heiligen Geist an die Tür seines Nachbarn ziehen – im Vertrauen, dass dieser ihn zwar murrend, aber letztlich doch verstehen werde.
Menschen in diesen Tagen und Wochen erzählen von solcher Solidarität. Nein, kein Skorpion und keine Schlange warten auf dich, sondern das, worum du gebeten hast: Heiliger Geist in Form eines Brotes. Oder in anderen Formen von Solidarität.
Denn das ist es, wofür uns der Heilige Geist gegeben ist und wohin er uns führen soll: In die Freundschaft mit Gott und unseren Nächsten. Freundschaft teilt beides: Freude und Leid. Gottes Freundschaft wünsche ich Ihnen und mir. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Völkern: Der Herr hat Großes an ihnen getan! Der Herr hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich. Herr, bringe zurück unsre Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben. (Psalm 126)