Predigt am Volkstrauertag
15. November 2020 Pfaffenhofen
Predigtwort: Hiob 14, 1-17 (I)
Liebe Gemeinde
Der Grundton des heutigen Sonntags, Volkstrauertag und zugleich Vorletzter im Kirchenjahr, hat eine dunkle Farbe. Auch das Predigtwort aus dem Buch Hiob hat diesen unausweichlichen und schweren Grundton: Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
Es gibt viele Stellen in der Bibel, an denen dieses Bild vom verblühenden Menschen verwendet wird, an denen wir vom Werden und Vergehen des Menschen lesen. Hören wir nur Psalm 90 (VV. 5ff.10): Die Menschen sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst, das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt. (…) Unser Leben fährt schnell dahin, als flögen wir davon.
Der Monat November erinnert mit seinen Gedenktagen an die ermordeten Toten der Reichspogromnacht vom 9. November und an die Toten der Weltkriege. Wir gedenken und weichen der Wahrheit nicht aus, die auch immer noch unser Leben bestimmt: Die Frage, warum Europa und Amerika zusammen gehören, jetzt unter dem neuen Präsidenten in Amerika, hat seinen Ursprung in jener Zeit vor genau 75 Jahren. Und von dort reicht sie bis in unsere aktuellen Tage. Auch wenn niemand gerne dem Tod begegnen, an ihn erinnern möchte.
Das gilt auch für Hiob, der zu Gott sagt: Du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.
So redet ein Mensch, dessen Herz zerbrochen ist: ‚Gott, schau weg. Mein Leid ist schlimm genug. Mach es nicht noch schlimmer dadurch, dass Du mich ansiehst. Schau weg, Gott. Lass mich in Ruhe.‘ Der Gott, von dem wir sonst sagen, dass er einer ist, der uns sieht – zu diesem Gott sagt Hiob: Schau weg! Damit endlich Ruhe ist. Das klingt ungeheuerlich, steht gegen alle anderen Glaubenstraditionen. Steht gegen alles Hoffen. Aber Hiob kann nicht anders. Es ist ihm zu viel mit diesem Gott, auch zu viel mit den gutgemeinten Ratschlägen seiner Freunde. Hiob, der sprichwörtlich Gerechte aus dem Alten Testament, sitzt in der Asche, ist krank und hat alles verloren, was ihm lieb und teuer war. Er wehrt sich gegen seinen Gott. Mit Trotz und Treue. Obwohl seine Beziehung zu Gott zerstört, zerrüttet ist, stellt er die Fragen, die er fragen muss.
Und hören wir genau hin, was Hiob jetzt selber sagt. Nicht was wir denken, ist jetzt wichtig. Wir wollen ihm zuhören (7-12): Denn ein Baum hat Hoffnung, auch wenn er abgehauen ist; er kann wieder ausschlagen, und seine Schösslinge bleiben nicht aus. Ob seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im Staub erstirbt, so grünt er doch wieder vom Geruch des Wassers und treibt Zweige wie eine junge Pflanze. Stirbt aber ein Mann, so ist er dahin; kommt ein Mensch um – wo ist er? Wie Wasser ausläuft aus dem See, und wie ein Strom versiegt und vertrocknet, so ist ein Mensch, wenn er sich niederlegt, er wird nicht wieder aufstehen; er wird nicht aufwachen, solange der Himmel bleibt, noch von seinem Schlaf erweckt werden.
Ein Baum hat Hoffnung, meint Hiob, ein Mensch nicht. Hiob erzählt von dem, was er sieht: Ein Baum wird neu austreiben können, selbst wenn es nur noch einen Stumpf gibt. Allein vom Geruch des Wassers angezogen, wird das Leben selbst sich neu entwickeln. Ein Wiederaufleben des Menschen nach dem Tod im Sinne einer Auferstehung verneint Hiob. Wenn der Mensch tot ist, ist er tot. Er wird nicht wieder aufstehen (12). Das ist durchgängige Meinung in den Schriften der hebräischen Bibel, dem Alten Testament. Von der Hoffnung der Auferstehung weiß dieser alte Teil der Bibel noch nichts, zumindest nicht so, wie wir sie seit Jesus kennen. Die Hoffnung auf Auferstehung ist noch nicht im Blick. Es ist kaum auszuhalten, man möchte Hiob so gerne widersprechen. Dennoch: Hören wir ihm weiter zu (13-17):
Hiob wünscht sich von Gott: Ach dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt, und mir ein Ziel setzen und dann an mich denken wolltest! (…) Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Geschöpf deiner Hände. Meine Schritte würdest du zählen, und nicht achten auf meine Übertretungen.
Hiob ruft Gott – sozusagen gegen Gott! – auf den Plan hier: Ach dass du (….) an mich denken wolltest! Das Ungeheuerliche wird tastend von Hiob versucht. Er wagt sich weit vor. Er erinnert Gott an sein Handeln von Beginn der Welt an: Sacharna heißt das hebräische Wort für Gedenke doch! Das ist nach jüdischem Verständnis der Schlüssel zur Umkehr. Und zwar nicht zuerst bei den Menschen – bei denen auch –, sondern bei Gott. Immer wenn Gott seiner Menschen gedachte, wendete sich das Blatt zum Guten. Die Flut ging zurück, die Krankheit ebbte ab, die Sklaverei in Ägypten endete – weil Gott gedachte. Sein Gedenken, so Hiob, wird uns am Leben halten, ja sogar dahin zurückbringen können. Nichts anderes.
Hier liegt Hiobs Hoffnung. Hier im Glauben der Väter und Mütter Israels. Hiob spornt Gott buchstäblich an und erinnert ihn an das, was nur Gott, dem Schöpfer selbstverständlich ist: Die Sehnsucht nach seinen Geschöpfen: Du würdest rufen und ich dir antworten; nach dem Geschöpf deiner Hände würdest du dich sehnen. – Meine Schritte würdest du dann zählen, und nicht achten auf meine Übertretungen.
Das ist es! Das hört sich nach wenig an – und ist doch viel. Das ist es, was sich der Adam im Paradies nicht getraut hat zu sagen, als Gott rief (Gen. 3,9): Adam, wo bist du? Er dachte gleich an seine Schuld, was er falsch gemacht hatte, und hatte viele Erklärungen, warum er sich versteckt habe.
Hiob hat eine andere Erwartung an Gott: Eine Hoffnung, die Hiob wagt. Eine Hoffnung, die sich ausstreckt hin zum Du seines Gottes. Du würdest rufen… – Lasst uns das heute von Hiob lernen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Eberhard Hadem 14. November 2020