Predigt am 7. Sonntag n. Trinitatis
26. Juli 2020 Bernlohe

Predigtwort: 2. Mose 16, 2-3 u. 11-18
Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des Herrn Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst. […] Und der Herr sprach zu Mose: Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der Herr, euer Gott bin. Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. Und als der Tau weg war, siehe, da lag's in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Was ist das? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der Herr zu essen gegeben hat. Das ist's aber, was der Herr geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. Und die Israeliten taten's und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man's nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.

Liebe Gemeinde

Es murrte die ganze Gemeinde – murren, was für ein schönes lautmalerisches Wort mit rollendem R. All das gibt es bei uns auch: Dieses Murren, wie Martin Luther das Genörgel übersetzt hat, höre ich täglich. Ein leises Knurren, Brummen, Grummeln, Murmeln, vorgetragen mit mürrischem Gesicht. In Deutschland – so wird behauptet – gehört Murren zum gesellschaftlichen Grundton. Und gerade jetzt gibt es genug zu finden: Die Sache mit dem C bietet tausende und abertausende Gelegenheiten dazu.

Was mich am meisten an der biblischen Geschichte wundert: Dass Gott sich mit dem Nörgeln seines Volkes abgibt. Er sagt nicht: ‚Jetzt reicht es mir aber.‘ Er sagt auch nicht: ‚Leute, spinnt ihr eigentlich? Ihr wart Sklaven in Ägypten, habt ihr das vergessen?‘ Gott sagt: Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Und dann gibt er ihnen etwas: Am Abend lagern sich Wachtelschwärme. Müde und erschöpft von ihren Zügen im Frühjahr und Herbst treten sie noch heute in Scharen auf und sind am Abend auch leicht zu fangen. Die Israeliten können die Tiere mit bloßen Händen greifen und werden satt.

Und am Morgen: Brot. Oder etwas Ähnliches. Man hu? sagen die Israeliten: Was ist das denn? So kam das Brot zu seinem Namen Manna. Manna ist kein Brot, wie wir es beim Bäcker kaufen, sondern ein süß schmeckender Tropfen zum Kauen und Lutschen. Es ist ein Sekret, eine Ausscheidung der Tamariske, die durch Schildläuse auf diesem Baum hervorgerufen wird. Über Nacht wird diese Substanz hart, fällt von den Blättern und wirkt am Morgen wie Tau. Die vielen kleinen Tropfen müssen, noch bevor die Sonne kommt, aufgesammelt werden, damit sie nicht schmelzen. Noch heute ist Manna bei den Nomaden auf der Sinaihalbinsel wegen seines süßlichen, honigartigen Geschmacks sehr geschätzt. Das Wunder in der Wüste ist nichts Magisches. Manna und Wachteln fallen nicht wie im Schlaraffenland den Menschen in den Mund. Das Wunder ist, dass Gott Bewahrung schenkt fern der Gewohnheit; dass die Israeliten die Augen aufmachen und sehen – was auch schon vorher da war. Denn ihr Murren hatte sie blind gemacht.

Manna – das ist das Wasistdasdenn Gottes. Bis heute begegnen Menschen dem Himmelsbrot wie die Israeliten in der Wüste. Eine Kollegin von mir erzählt was sie bei einem Kirchentag erlebt hat: „In der Einkaufsstraße saß ein Mann, vielleicht Mitte dreißig. Vor sich hatte er einen Hut aufgestellt, in dem einige Münzen lagen und in der Hand hielt er ein großes Schild aus Pappe. Ich ging vorbei“ erzählte sie, „weil ich diese Geschichten nicht mehr hören konnte. Aber aus den Augenwinkeln las ich doch einige Worte von seinem Schild. …bitte bedienen Sie sich. Da hielt ich abrupt an und kehrte um. Tatsächlich, da stand auf dem Schild: Ich bin reich beschenkt, bitte bedienen Sie sich. Was ist das denn? habe ich mich gefragt. Und er erzählte mir sein Schicksal. Er war Trinker gewesen, stand unmittelbar vor dem Abgrund, hatte den Arbeitsplatz verloren und seine Familie drohte zu zerbrechen. Seine Option war genau diese: Er wäre ein obdachloser Säufer geworden und hätte seine Tage, mit einem Hut vor sich, in der Innenstadt verbracht, ohne Hoffnung und ohne Freude. Ich bin reich beschenkt, sagte er. Ich habe mit Gottes Hilfe gerade noch rechtzeitig den Absprung geschafft. Er fand Arbeit, konnte seine Ehe retten. Davon wollte er erzählen, sein Glück teilen: Bitte bedienen Sie sich.

Die Erfahrung aus der Bibel zeigt, dass Gott ungewohnte und neue Wege geht, um seine Menschenkinder zu retten. Man hu? Da steckt auch eine Portion Befremden drin, Skepsis, Unsicherheit und Angst. Wir brauchen nicht erwarten, dass Gott uns Lebensbrot in Form eines Schäufele oder einer leckeren Süßspeise schickt oder was auch immer uns – auch im übertragenen Sinn – am besten schmeckt; so läuft das nicht. Wir sollten damit rechnen, dass er uns zunächst fremd erscheint: Ein unsympathischer Mensch, der mich beim näheren Hinsehen das Staunen lehrt. Ein unfreiwilliger Arbeitsplatzwechsel, eine seltsame Begegnung – Himmelsbrot gibt Gott gern dann, wenn wir am wenigsten damit rechnen. Sogar schwere und verletzende Einschnitte können – aus der Rückschau betrachtet – Manna sein.

Das Wunder in der Wüste ist nichts Magisches. Diese Geschichte erzählt: Fern aller sonstigen Gewohnheiten ist Gott auch in der Wüste. Auch in Zeiten der Krise und des Umbruchs. Besonders da will Gott unseren Blick schärfen und unsere Perspektive verändern. Was ist das? Was soll das? Warum ich? Man hu? – Dass etwas Brot ist, das vom Himmel kam, zeigt manchmal der Blick zurück: Das hat meinem Leben die richtige Wendung gegeben, das hat mich nachhaltig froh und innerlich reich gemacht, das hat mir geholfen, mich zu überwinden, Widerstände anzugehen, nicht lockerzulassen.

Wüstenerfahrungen können eine Schule für veränderte Perspektiven sein. Nicht nur Murren und Schimpfen und sich nach alten Zeiten zurücksehnen, sondern innehalten und wahrnehmen, was der Wüstenmoment auch an Lebenswertem bietet. Das, was die Israeliten als Wunder erlebten, war auch die ganzen Tage vorher schon da. Aber in ihrem Frust hatten sie dafür keinen Blick. Man hu? Was ist das denn? So kam das Manna zu seinem Namen. Das ist Brot, das Gott euch zu essen gibt, Himmelsbrot.

Was ist das denn für einer? so begegneten die Menschen auch Jesus von Nazareth. Ein gewöhnlicher Zimmermann, der auf Märkten und Plätzen Geschichten vom Himmelreich erzählt? Einer, der mit Huren und Zöllnern verkehrt? Was ist das denn für einer, gekreuzigt wie ein Verbrecher, angespuckt von Soldaten? Und bittet noch im Sterben Gott um Vergebung für seine Feinde? Ich bin das Brot des Lebens, sagt er von sich. Er ist das wahre Himmelsbrot.

Es ist bestimmt kein Zufall, dass Konfirmanden auf die erste Abendmahlshostie oft befremdet reagieren. Ihre Augen sagen: Man hu? Was ist das? wenn wir das Abendmahl im Konfi-Kurs zum ersten Mal üben. Sie drehen die kleine, dünne Scheibe zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Und ich kann ihnen ansehen, dass sie am liebsten daran schnuppern, vorsichtig lecken würden. Es ist nur Mehl und Wasser, erkläre ich ihnen. Es klebt ein bisschen, ist fast geschmacksneutral. Die Jugendlichen sind skeptisch, aber auch neugierig. Dann schieben sie sich die Hostie vorsichtig in den Mund. Manche bleiben skeptisch.

Dass das Himmelsbrot sein soll, ahnen sie erst, wenn wir richtig miteinander Abendmahl feiern. Dann verändert sich etwas. Da gibt es mehr zwischen Himmel und Erde, spüren die Jugendlichen dann. Und dieses Mehr, das ist das Brot, das vom Himmel kommt.

Vorsicht also, wenn Ihnen Neues und Fremdes begegnet. Man hu? Prüfen Sie es genau, Sie dürfen skeptisch sein! Das hat Gott in seiner Schöpfung so eingerichtet. Ich möchte Sie aber einladen zur Wachsamkeit: Wenn Ihre Seele Man hu fragt, wenn Sie nicht wissen, was das ist und wofür das gut sein soll, dann könnte Gott Ihnen näher sein, als Sie es vermuten. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Eberhard Hadem
26.7.2020