Predigt am 4. Sonntag n. Trinitatis
5. Juli 2020 Pfaffenhofen

Predigtwort: Römer 12, 16b-21
Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): ‚Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.‘ Vielmehr: ‚Wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln‘ (Sprüche 25,21.22). Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Liebe Gemeinde

Viele gute Weisheiten hören wir da. Bei manchen sagen sicher die meisten: Stimmt. Soweit wie möglich sollte jeder auf Gutes bedacht sein gegenüber jedermann. Soviel an euch liegt, sagt Paulus hier, m.a.W.: Bitte, versucht ihr es wenigstens. Das heißt aber noch lange nicht, dass der liebe Nachbar oder die bucklige Verwandtschaft das auch so sehen. Und ist es wirklich möglich, mit allen – wirklich allen? – Menschen Frieden zu halten? Vergeltet niemand Böses mit Bösem – ja, gut gemeint. Aber manchmal muss es eben doch sein. Die ältere Generation musste im Krieg viel Böses erleben durch die Bombardierungen auf deutsche Städte. Das Böse, das von Deutschland ausgegangen war, kam nach Deutschland zurück. Nur durch dieses andere Böse, das durch die Alliierten geschah, konnte der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung vom Bösen werden. Heißt das: Manchmal muss es leider sein, dass Böses mit Bösem vergolten wird, damit am Ende doch etwas Gutes herauskommen kann? Aber wie passt das mit dem Schlussgedanken von Paulus zusammen, dass ich das Böse mit Gutem überwinden soll?

Es scheint so, als hätten wir uns gedanklich schon verheddert im Gestrüpp der Gedanken des Paulus. Vielleicht auch, weil die Vorstellungswelt von damals zum Thema Rache nicht mehr die unsrige ist? Schon den Gedanken daran, von Gottes Zorn zu reden, finden wir unangenehm. Dass wir dem Zorn Gottes Raum geben sollen, klingt geradezu unmoralisch. Obwohl das genaue Gegenteil der Fall ist: Nicht ich verurteile einen Menschen mit Rachetaten, sondern ich überlasse es Gott, wann und was er tun will. Ja, das sind heikle Gedanken, kompliziert und fremd, auch wenn wir alle spüren, wie süß Rache doch sein kann. Ganz so fremd ist uns das alles nicht. Ein verwirrendes Knäuel an Gedanken – wie sollen wir es verstehen?

Ich ziehe mal an einem Faden des Knäuels und hoffe, dass er uns hilft beim Verstehen. Paulus schreibt: Wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.

Feurige Kohlen auf dem Haupt sammeln, das ist ein alter Brauch, der aus Ägypten kommt. Wer sich für etwas schämte, was er getan hatte, der lief mit einem Becken voll glühender Kohlen auf dem Kopf herum. Wie lange einer das tun musste, wissen wir nicht mehr. Lange kann man das nicht aushalten. Dass Scham etwas mit Feuer zu tun hat, wissen wir immer noch. Manchmal werden wir schamrot. Es wird uns ganz heiß. Wir spüren, dass es nicht recht war, was wir getan haben, dass wir damit Schaden angerichtet haben. Wir schämen uns.

Paulus sagt: Wenn du deinem Feind hilfst, dann ist das so, wie wenn du feurige Kohlen auf seinem Haupt sammeln würdest. Gemeint ist also: Tue etwas ganz und gar Ungewöhnliches, etwas, was deinen Feind überrascht! Das ist es, was Paulus vorschlägt. Tu etwas, womit er ganz und gar nicht gerechnet hat. Vielleicht wird er sich dann schämen. Vielleicht wird er sich ändern. Im besten Fall wird aus einem Feind ein Freund. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Aber versuch es doch wenigstens. Soweit es an dir liegt, suche den Frieden. Suche den Frieden nicht so, dass du alles laufen lässt. Nicht so, dass du alles herunterschluckst. Nein, mische dich ein, so phantasievoll wie möglich. Tu etwas Gutes – etwas, was dem Frieden dient.

Wie soll ich die Kraft dafür finden, so glauben zu können? Wie kommt sie zu mir? Paulus kreist in den Kapiteln vorher um einen Gedanken: Um das Böse mit Gutem zu bekämpfen, muss jeder für sich selbst eine ganz bestimmte Frage beantworten, die nicht ein für alle Mal beantwortet ist, sondern immer wieder eine Antwort sucht: Glaube ich, dass Gott an Ostern alles Böse bereits überwunden hat? Auch den Tod überwunden hat? Wenn ich diese Frage mit Ja beantworte, dann kann ich die Welt aus den Angeln heben.

Menschen wie Martin Luther King haben die Welt aus den Angeln gehoben, auch wenn er ermordet wurde. Auch wenn in diesen Tagen nach wie vor Menschen daran erinnern, dass der Rassismus weiter wirkt. Aber mit Menschen wie ihm und anderen ist etwas Neues in die Welt gekommen. Weil er daran glaubte, dass Gott bereits alles Böse und den Tod überwunden hat. Habt mit allen Menschen Frieden heißt nicht: Lass dich von jedem abwatschen. King sagt einmal: Gewaltloser Widerstand ist keine Methode für Feiglinge und sie hat auch nicht zum Ziel, den Gegner zu vernichten oder demütigen. Der Weg der Gewaltlosigkeit ist ein Angriff gegen die Mächte des Bösen, und nicht gegen die Personen gerichtet, die das Böse tun.

Immer, wenn ich mit Jugendlichen darüber spreche und wir uns gemeinsam überlegen, ob wir so handeln könnten, kommen wir an den einen Punkt, den ich schon genannt habe: Glaube ich persönlich, dass das Böse siegen wird? Oder glaube ich, dass Gott das Böse bereits überwunden hat? Ich persönlich weiß nicht, ob ich immer in jeder Situation gewaltlos bleiben könnte. Aber ich begreife, wie viel das Ziel der Versöhnung mit mir selbst zu tun hat, wie ich das Böse mit Gutem in mir selbst überwinde.

Martin Luther King sagt: Wer das Böse mit dem Guten überwindet, ist nur insofern passiv, als er seinen Gegner nicht physisch angreift; sein Geist und seine Gefühle sind aber immer aktiv.

Von zwei Menschen möchte ich am Schluss erzählen, die mit ihrem Geist und ihrem Gefühl Ungewöhnliches getan haben. Es ist die Geschichte von Phyllis und Aisha. Beide sind Mütter. Phyllis hatte einmal einen Sohn: Greg, 35 Jahre ist er alt geworden. Er hat im World Trade Center in New York gearbeitet, im 103. Stockwerk. Am 11. September 2001 ist er dort verbrannt, zusammen mit beinahe 3000 anderen Menschen. Aisha hat auch einen Sohn, Zacarias. Der sitzt im Gefängnis. Er hatte sich für diese Attentate vorbereitet, wollte eigentlich mitmachen. Aber ein paar Tage vorher ist er ertappt und verhaftet worden. Seine Mutter Aisha hatte von seinen Taten nichts gewusst. Sie hatte schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt. Sie schämte sich für ihren Sohn. Sie wollte Angehörige von Menschen kennenlernen, die durch die Attentate gestorben sind. Sie wollte ihnen ihr Mitgefühl ausdrücken. So fand sie Phyllis. Die beiden lernten sich kennen. Sie erzählten einander von ihren Söhnen. Sie weinten miteinander. Im Laufe der Zeit wurden sie zu Freundinnen. Und dann kam der Gerichtsprozess gegen Zacarias. Der Staatsanwalt plädierte auf Todesstrafe. Aber 35 Angehörige von Opfern wurden zu Fürsprechern für ihn. Er war ja nicht beteiligt, plädierten sie. Er war ja schon im Gefängnis, als die Attentate passiert sind. Und außerdem: Unsere Angehörigen werden dadurch nicht wieder lebendig, dass er stirbt. Vergeltung hilft niemandem. Was wir brauchen, ist Versöhnung. Auch Gregs Vater hat ein solches Plädoyer gehalten. Dieser Einsatz führte dazu, dass Zacarias am Leben blieb. Er hat jetzt eine lebenslange Gefängnisstrafe. Und seine Mütter arbeiten miteinander für Versöhnung, nicht nur in ihrem privaten Umfeld, sondern auch in der Öffentlichkeit. 2007 haben sie beide dafür einen Preis bekommen, die Berliner Quadriga. Zwei bewundernswerte Frauen, die gegen die Feindschaft arbeiten und für den Frieden.

Vergebung konkret. Leicht ist es nicht, harmlos ist es nicht, man wird nicht von allen dafür gelobt. Ganz im Gegenteil. Trotzdem ist es möglich. Diese beiden machen es vor.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unser Herz und unsere Sinne vor dem Unglauben. Geborgen sind wir in Gott, gelobt sei Jesus Christus. Amen.

Eberhard Hadem
4.7.2020