Predigt am 6. Sonntag n. Trinitatis
19. Juli 2020 Pruppach (Open-Air)
Predigtwort: 5. Mose 7, 6-8
So spricht Gott zu seinem Volk: Du bist ein heiliges Volk dem Herrn, deinem Gott. Dich hat der Herr, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. Nicht hat euch der Herr angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –, sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.
Liebe Gemeinde
Gott hat dich erwählt, so heißt es in der Bibel. Nicht du, Mensch, hast dir einen Gott gewählt. Es ist umgekehrt: Gott liebt mich, das ist der Grund, warum er mich erwählt hat. Mein Verstand redet mir eher etwas anderes ein: Ich hätte mir einen Gott erwählt. Und in meinem Herzen bilde ich mir manchmal ein, wie Gott meiner Ansicht nach sein müsste; was er meiner Meinung nach tun müsste in dieser Welt und mit mir, damit er wirklich ein liebenswürdiger Gott sei, einen Gott, den ich lieben könnte.
Aber die Bibel sagt mir: Du magst dir das alles denken, lieber Mensch, aber in Wahrheit ist es umgekehrt. Eine kleine Geschichte erzähle ich euch dazu, die sich tatsächlich so zugetragen hat: Ein internationaler Schüler-Austausch irgendwo in einer Stadt. Da es nicht genügend Familien gibt, die ausländischen Gäste aufzunehmen, hat sich auch eine alleinstehende Frau gemeldet. ‚Aber bitte‘, sagt sie, ‚gebt mir einen Lausbub. Der kann auch frech sein. Mit einem Mädchen kann ich nichts anfangen!‘ Ja, und dann bleibt für sie ein hübsches, aber sehr schüchternes und zurückhaltendes Mädchen mit blonden Zöpfen übrig. Die Frau ist so schockiert, dass es kein Wunder ist, als in den nächsten drei Tagen kaum ein vernünftiger Kontakt zwischen ihr und dem Mädchen zustande kommen will. Schließlich wendet sie sich wütend an die Organisationsleiterin des Schüler-Austauschs: ‚Sie wussten, dass ich einen Buben wollte! Wieso haben Sie das nicht berücksichtigt?‘ ‚Liebe Frau‘, entgegnet die Angesprochene vorsichtig, ‚Natürlich wusste ich. Aber dieses Mädchen, das kam zielsicher auf mich zu und sagte: Zu ihr will ich, zu niemandem anders. Das Mädchen hat sich Sie ausgesucht, Sie ganz allein. Vielleicht ändert das die Situation, wenn Sie das jetzt wissen!‘ Allerdings, denn das ist ihr noch nie passiert. Sie ist eine etwas herbe und in sich verschlossene Frau. Dass eine völlig Unbekannte, ein ausländisches Mädchen, auf den ersten Blick sagt: ‚Zu ihr will ich!‘ damit hat sie nicht gerechnet. Auf dieser Grundlage allerdings ließen sich neue Erfahrungen machen. Erfahrungen, die für beide, das Kind und die Frau, zu einem unvergesslichen Erlebnis wurden.
So spricht Gott zu seinem Volk: ‚Ich habe dich ausgesucht, dich, ja dich ausgerechnet, und das nicht, weil du dir ein besonderes Verdienst erworben hättest oder besonders attraktiv wärest – sondern weil ich dich lieb habe!‘ Es ist ein ungeheuerlicher Satz der Liebe Gottes zu seinem Volk. Auch in unserer Zeit wird viel über Liebe geredet. Und was die Menschen damit meinen, ist so zwiespältig, so vielschichtig, dass man sich beinahe scheut, dieses Wort überhaupt in den Mund zu nehmen. Denn manche sagen zu einem anderen Menschen: ‚Ich liebe dich‘, und meinen damit nicht: ‚Mir geht es um dich‘, sondern: ‚Ich begehre dich, ich will dich für mich haben – und wenn du für meine Zwecke nicht mehr brauchbar bist, dann suche ich mir jemand anders!‘
Wenn Gott sagt: ‚Ich habe dich erwählt, weil ich dich lieb habe‘, dann will er mir sagen: ‚Es geht mir um dich. Es ist mein freies Angebot an dich, dass ich mich dir zuwende. Es gibt dafür keine Begründung. Ich weiß ja deine Schwachstellen, ich kenne dich ja, besser, als du selbst dich kennen kannst, und doch: Ich halte dir die Treue, ich wende mich nicht ab von dir, Menschenkind, es komme, was da mag. Ich werde gar noch aus dem Bösen, das du anrichtest, Gutes zu wirken suchen! Meine Liebe zu dir, Menschenkind, wandelt sich nicht, es mögen sich die Zeiten wandeln, es mögen Menschen kommen und gehen, du magst dein Schicksal anklagen, das du nicht verstehst: Meine Liebe bleibt, du magst sie spüren oder auch nicht – niemals wird sich in aller Vergänglichkeit dieser Welt meine Liebe zu dir zu wandeln!‘
Sicherlich kann es geschehen, dass mein Verstand mich zum Zweifeln bringt: Bilde ich mir das alles nur ein? Ist die Liebe Gottes nur ein Traum? Wie könnte Gott mich unvollkommenen Menschen lieben? Ich könnte es verstehen, wenn Gott zu mir sagen würde: ‚Ich liebe dich nicht brutto, sondern nur netto. Da gibt es ein paar Sachen an dir, die mag ich gar nicht, deshalb liebe ich dich nur netto, zum Bruttolieben reicht es einfach nicht.‘ Ja, das könnte ich verstehen. Könnte auch verstehen, dass meine Frau mich nur netto liebt. Aber ich hoffe wider meine eigenen Zweifel, dass sie mich brutto liebt. So wie Gott auch.
Es kann auch passieren, dass das Andere geschieht, dass ich in meinem Herzen Gott verklage und ihm vorwerfe: ‚Wie konntest du dieses oder jenes geschehen lassen? Ich bin enttäuscht von dir, Gott. Ich werde irre an dir, du entsprichst nicht meiner Vorstellung, wie ein Gott sein sollte.‘ So erleben wir es, so fühlen wir es in uns selbst: In unserem Herzen verdammen wir entweder uns selbst – oder wir verdammen Gott. Im Wort Gottes, in der Bibel (1. Joh. 3, 20) heißt es dagegen: Auch wenn unser Herz uns verdammt, Gott größer ist als unser Herz und er erkennt alle Dinge.
Was Gott seinem Volk Israel zugesprochen hat, spricht er uns allen, einem jeden Menschen zu. Er hat es uns zugesprochen, ein für alle Mal, in unserer Taufe. Und dieser heutige 6. Sonntag nach Trinitatis ist der Sonntag des Taufgedächtnisses. Wir fragen danach, was es bedeutet, dass wir getauft sind. Das Erste: Gottes Liebe und Treue bricht nicht. Er bleibt uns zugewandt, komme, was da wolle. Das ist der tiefe Sinn der Taufe: Du kannst an allem zweifeln – an dir selbst, an anderen Menschen, an Gott – aber du kannst nicht an deiner Taufe zweifeln, sie ist geschehen. Menschen bezeugen, dass du getauft bist: Deine Familie, deine Paten. Auch wenn du nichts mehr davon spürst, nichts von dem Wasser, das deinen Kopf berührte, nichts von den Worten, die gesagt wurden, nichts von der Bewegtheit deiner Familie damals – du bist getauft, daran ist nichts zu rütteln. Gott hat dich erwählt.
Die zweite Antwort auf die Frage, was es bedeutet, dass wir getauft sind, lautet: Du brauchst die Gemeinschaft. Niemand, der als Kind getauft wurde, kann sich an seine Taufe erinnern. Am Sonntag sprechen wir im Gottesdienst das Glaubensbekenntnis, wie es auch an unserer Taufe gesprochen wurde. Wir erinnern uns, das Volk Gottes erinnert sich, die Getauften erinnern einander. In Norddeutschland ist es sprachlich möglich zu sagen: ‚Ich erinnere, dass meine Schwester den Teller fallen gelassen hat.‘ Als wäre Erinnern ein aktives Wort. In der Grammatik ist Erinnern etwas, was mit mir passiert: Ich erinnere mich oder ich werde erinnert. Und das, obwohl das Wort selbst sagt, dass alles erinnern in meinem Inneren geschieht. Das Wort und die Grammatik sind so kompliziert, weil auch der Vorgang viel komplexer ist. Wer getauft wird, sucht sich keine persönliche Weltanschauung aus, sondern wird eingefügt in die Gemeinschaft derer, die sich an ihre Taufe erinnern lassen, daran, dass Gott sie liebt. Dass er uns erwählt hat und nicht wir selber ihn erwählt haben.
Dort, in der scheinbar verborgenen Erinnerung soll offenbar werden, dass ich aus Gott geboren bin, auch wenn eine Mutter mich auf die Welt gebracht hat. Daran erinnert mich meine Taufe: Gott hat mich ausgesucht, mich ganz allein. Für die verschlossene Frau, die von jenem Mädchen erwählt wurde, änderte sich alles, als sie hörte: ‚Das Mädchen hat sich Sie ausgesucht, Sie ganz allein.‘ Mich so sehen dürfen: Aus Gott geboren bin ich – mit all dem, wer ich bin, wie ich bin und was aus mir noch einmal werden wird. Was könnte das alles ändern? Ein Menschenkind bin ich, das andere Menschenkinder braucht, die sich gegenseitig an das Geheimnis ihrer Erwählung erinnern: Wir sind getauft.
Nicht, weil sich die Christen darauf etwas Besonderes einbilden, sondern weil wir es brauchen, lebensnotwendig brauchen, uns gegenseitig daran zu erinnern: Aus Gott sind wir geboren und er hat uns erwählt. Drum lasst uns fröhlich sein. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft und größer als unser Herz, bewahre uns in Christus Jesus. Amen.
Eberhard Hadem
19. Juli 2020