Kurzansprache zum Jahresschluss 31.12.2020 Pfaffenhofen und Roth
Gott ist nahe
So zogen die Israeliten aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. Und der Herr zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
2. Mose 13, 20-22
Liebe Gemeinde
Es sind nur zwei Verse aus der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel, die erzählen, wie Gott seinem Volk nahekommt. Am Tag begleitet sie eine Wolkensäule, in der Nacht eine Feuersäule, damit sie den Weg finden und nicht verloren gehen. Gott ist also nicht innerhalb des Lagers, auch nicht in einem heiligen Zelt oder einer Hütte. Es gibt keinen Ort, von dem sie sagen könnten: Hier ist unser Gott. Nichts auf dieser Welt, das Gott repräsentieren könnte.
Nein, Gott kommt nur nahe. Aber was heißt schon ‚nur‘? Die mythologischen Bilder von Wolke und Feuer sind jenseits von rationaler Vernunft. Sie gehören zur Traumsprache einer anderen Welt. Die Welt des Glaubens, der auf keine Fakten und auf kein Wissen verweisen kann, der sich nicht rechtfertigen gegenüber anderen, die nicht verstehen, warum Menschen glauben; der das weder kann noch will.
Wir leben von der Nähe Gottes, von seinem Uns-Nahekommen – das ist das Tiefengedächtnis der Bilder von Wolken- und Feuersäule. Martin Luther hat einmal etwas zum christlichen Gottesdienst gesagt, das ins Bild passt. Er sagt, dass Gott selbst in unserem Gottesdienst herabsteigt, in Wort und Sakrament, in Symbolen und Gesten. Und unser Gebet, unser Bekenntnis, unser Glauben und Singen, also letztlich wir selbst, zu ihm hinaufsteigen. „Das Eine steigt herab, das andere hinauf.“ Herab, hinauf. Eine Wolkensäule vom Himmel zur Erde. Und eine Feuersäule von der Erde zum Himmel. Wir empfangen und wir handeln. Wir werden angesprochen und wir geben Antwort.
Im Glauben sind wir nicht weiter oder klüger als die Israeliten damals. Alles, was wir haben, ist eine Wolkensäule, eine Feuersäule für das Volk Israel am Rand der Wüste, ein Herab und Hinauf für das Volk Gottes, zu dem auch wir gehören im Gottesdienst am Rand der Welt. Gott ist nahe. Gott kommt. Wir sind – und bleiben auch an Weihnachten – sehnsüchtig nach ihm.
Das biblische Bild von der Wolken- und Feuersäule ist Gottes Zusage, dass er nahe ist. Aber auch, dass wir noch auf dem Weg sind. Seine Güte gehe uns voraus wie eine leichte Wolke am Himmel, seine brennende Liebe sei uns ein wärmendes Feuerzeichen, seine Gnade bleibe bei uns, die wir gehen von einem Jahr zum nächsten, geborgen von guten Mächten.
Wir bitten Gott, dass er uns hört, dass wir in unseren Herzen seinen Frieden spüren. Gott ist nicht ferne von uns. Er kommt uns nahe. Das ist unser Glück. Auch 2021.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Eberhard Hadem 31. Dezember 2020
Im folgenden finden Sie die Predigt im Jahresschlussgottesdienst zum gleichen Text:
Predigt im Jahresschlussgottesdienst 31.12.2020 Roth 17:30 Uhr
Warum die Seeanemone von Gott erzählt
So zogen die Israeliten aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. Und der Herr zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
Ex. 13, 20-22
Liebe Gemeinde
Es sind nur drei Verse aus der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel, die erzählen, wie Gott seinem Volk nahekommt. Am Tag eine Wolkensäule, in der Nacht eine Feuersäule, damit sie den Weg finden und nicht verloren gehen. Gott ist nicht innerhalb des Lagers, auch nicht in einem heiligen Zelt oder einer Hütte. Es gibt keinen Ort, von dem sie sagen könnten: Hier ist unser Gott. Nichts auf dieser Welt, das Gott repräsentieren könnte. Es ist menschlich, zu meinen, er wohne in einer Kirche. Er könne ihnen gehören, weil ihnen eine Kirche gehört.
Nein, Gott kommt nur nahe. Aber was heißt schon ‚nur‘? Die mythologischen Bilder von Wolke und Feuer sind jenseits von rationaler Vernunft. Sie gehören zur Traumsprache einer anderen Welt. Die Welt des Glaubens, der auf keine Fakten und auf kein Wissen verweisen kann, der sich nicht rechtfertigen gegenüber anderen, die nicht verstehen, warum Menschen glauben; der das weder kann noch will. Wir leben von der Nähe Gottes, von seinem Uns-Nahekommen – das ist das Tiefengedächtnis der Bilder von Wolken- und Feuersäule. Die Wolken- und Feuersäule sind Gottes Zusage, dass er nahe ist. Aber auch, dass wir noch auf dem Weg sind. Seine Güte gehe uns voraus wie eine leichte Wolke am Himmel, seine brennende Liebe sei uns ein wärmendes Feuerzeichen, seine Gnade bleibe bei uns, die wir gehen von einem Jahr zum nächsten, geborgen von guten Mächten.
Martin Luther hat einmal etwas zum christlichen Gottesdienst gesagt, das ins Bild passt. Er sagt, dass Gott selbst in unseren Gottesdienst herabsteigt, in Wort und Sakrament, in Symbolen und Gesten. Und unser Gebet, unser Bekenntnis, unser Glauben und Singen, also letztlich wir selbst, zu ihm hinaufsteigen. „Das Eine steigt herab, das andere hinauf.“ Herab, hinauf. Eine Wolkensäule vom Himmel zur Erde. Und eine Feuersäule von der Erde zum Himmel. Wir empfangen und wir handeln. Wir werden angesprochen und wir geben Antwort. Da ist nichts, von dem wir sagen könnten: Jetzt haben wir Gott festgelegt, jetzt hat er sich in unsere Hand gegeben mit seiner Verheißung, darauf nageln wir ihn fest, daran messen wir ihn. Das hat schon Hiob getan, Gott zur Rechenschaft zu fordern, mit mehr als guten Gründen – und ist dennoch gescheitert.
Gott bleibt souverän, das ist der Widerhaken des Glaubens. Der tut manchmal richtig weh, der macht einen wütend, weil man nicht versteht, warum Gott so handelt und nicht anders. Gottes Souverän-Sein ist schmerzhaft – für uns, die wir an ihn glauben. Wir verstehen nicht, warum Gott es zulässt, dass ein winziges Virus unsere komplette Welt lahmlegen kann, Menschen tötet, Existenzen zerstört, Angst verbreitet. Deshalb machen manche eben Menschen, Regierungen, Reiche verantwortlich. Wie – so sagen sie – sollen wir es sonst aushalten? Es muss doch jemand verantwortlich sein. Für die, die keinen Gott haben, müssen Menschen schuldig sein. Das ist, sagt der Philosoph Slavoj Žižek, die verstörendste Lektion, die die anhaltende Virus-Epidemie für uns bereithält: Der Mensch ist viel weniger souverän, als er denkt.
Im Glauben sind wir nicht weiter oder klüger als die Israeliten damals. Alles, was wir haben mit dem Volk Israel am Rand der Wüste, sind Bilder von Wolkensäule und Feuersäule. Dazu das Bild des Herab und Hinauf für das Volk Gottes, zu dem auch wir gehören im Gottesdienst am Rand der Welt. Die Bilder sagen: Gott ist nahe. Gott kommt. So bleiben wir – auch an Weihnachten – sehnsüchtig nach ihm.
Denn auch Jesus hat seinen Jüngern nicht ein einziges Mal gesagt: ‚Schau hin: Da ist das Reich Gottes!‘ Immer heißt es bei ihm nur: Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Das Reich kommt. Es ist nahe, es ist zwischen euch, inwendig und dazwischen. Aber nie sagt er: Hier ist das Reich Gottes. Wir beten zu Gott auch an dieser Jahreswende. Wir bitten ihn, dass sein Reich, seine Herrschaft auch zu uns komme. Wir rufen mit den Worten des biblischen Adventsliedes (EG 7): „O Heiland, reiß den Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf.“
Das Volk Israel hat in seiner Geschichte später ein besonderes Zelt mit sich getragen, darin sich die Zehn Gebote befinden, die Mose von Gott am Sinai erhalten hat. Die so genannte Stiftshütte ist ein transportables Zelt, sie nennen sie Mischkan, auf Deutsch: ‚Wohnung‘. Ein anderer Name ist ‚Zelt der Begegnung‘. Gott begegnen sie, indem sie seine Worte, die Schriften der Propheten lesen, die Psalmen singen am Zelt der Begegnung. Es bleibt ein Zelt. Nur ein Zelt. Kein Tempel. Der wird erst später in Jerusalem gebaut. Wer es nachlesen will im Alten Testament, erfährt die Verweigerung der Propheten, weil sie fest daran glauben, dass nichts auf Erden Gottes Wohnung sein könne.
In einem Gesangbuchlied (EG 428) spricht ein moderner Liederdichter zu Gott: Komm in unser festes Haus, der du nackt und ungeborgen. Mach ein leichtes Zelt daraus, das uns deckt kaum bis zum Morgen; denn wer sicher wohnt, vergisst, dass er auf dem Weg noch ist.
Beim Schreiben der Predigt habe ich gemerkt, dass diese Bilder dennoch karges Schwarzbrot sind, an dem man kauen muss. In diesem Jahr habe ich noch ein anderes Bild entdeckt, das der Schriftsteller Christian Lehnert beschreibt. Er veranschaulicht anhand von Seeanemonen im Meer, wie Gott uns nahe kommt. Er schreibt: Seeanemonen sind Weichtiere, die an Blumen im Meer erinnern. Bei Ebbe ziehen sie sich zusammen und liegen dann auf den Steinen wie Innereien. Aber sobald die Flut zurück ist, blühen sie auf, öffnen ihre feinen Tentakel und atmen das Meer. Sie bestehen fast nur aus Wasser inmitten von Wasser und haben doch eine eigene Form und Farbe. Sie leben und wachsen im Meer. Dann fährt er fort:
Wie die Seenanemonen das Wasser aufnehmen, sich öffnen und davon durchströmt werden, so sind auch unsere Gottesdienste. Sie sind durchdrungen von etwas Äußerem – man kann sagen: Sie existieren im endlosen Ozean Gottes. Dieses Meer, das sie von außen umgibt, bildet aber zugleich ihr Inneres, ist ihnen Nahrung und Substanz. Das Geheimnis Gottes – ich (E.H.) füge hinzu: darin verborgen auch Gottes Souveränität – ist unseren Gottesdiensten innerlich und äußerlich zugleich. Die (…) Liturgie richtet sich auf das Andere aus, sucht und erwartet den kommenden Gott, welcher sich doch zugleich in ihr ereignet und sie formt. Wie bei dem weichen Meerestier: Es hat einen offenen Mund, es atmet und trinkt das Wasser.
Die Seeanemone hat dieselbe Botschaft wie Wolken- und Feuersäule. Nicht nur herab und hinauf, sondern auch innen und außen. Ohne Meer liegt die Seeanemone auf dem Trockenen. Es muss das Wasser kommen, damit ‚innen‘ und ‚außen‘ sinnlose Ortsangaben werden. Ohne den Ozean Gottes liegen auch unsere Seelen auf dem Trockenen. Vielleicht sind die halbvoll gefüllten Kirchen auch eine Art Ebbe, in der unsere Seelen darauf warten, dass der Ozean Gottes uns durchspült. Gott ist nicht ferne von uns. Er kommt uns nahe. Das ist unser Glück. Auch 2021. Amen.
Eberhard Hadem 31. Dezember 2020