Predigt am 1. Advent
29. November 2020 Pfaffenhofen Freiluft-Gottesdienst
Predigtwort: Sach. 9, 9-10 (III. Reihe)
Es gibt ein Raunen in der Welt
Liebe Gemeinde
Es ist Advent. Auf den heutigen Sonntag habe ich mich gefreut wie schon lange nicht mehr. Der 1. Advent sagt: Jetzt beginnt etwas Neues. Jemand fragt mich im Gespräch: „Wo sehen Sie denn das Neue? Was ist denn neu? Äußerlich schleppen wir uns doch seit Wochen mit den Corona-Maßnahmen dahin. Der Lockdown ist verlängert, im Grunde genommen haben wir es doch fast schon so erwartet.“ Ich antworte: „Wie war denn das Gefühl, als Sie auf die Verlängerung des Lockdown gewartet haben?“ „Bedrückend war das“, antwortet er, „und es hat mich schon deprimiert, bevor klar wurde, dass es so kommt. Es war doch genau so, wie es gekommen ist, zu erwarten.“ „Genau“, sage ich, „es war bedrückend, weil diese Erwartung sich speist aus dem, was in der Vergangenheit schon war. Inzwischen sind viele Menschen schon Halbprofis in Virologie und Epidemiologie geworden oder halten sich zumindest dafür – wer hat denn vor einem Jahr gewusst, was das ist und sogar einigermaßen richtig aussprechen können? Und andere sagen, dass sie sich für keine Nachrichten mehr interessieren; nix Neues zu erwarten, sagen sie.“
Liebe Gemeinde
Wir sehnen uns nach Unbeschwertheit und Normalität. Ich kenne meine Sehnsucht sehr genau, die möchte, dass alles wieder gut ist: Die Welt, die ich kenne, das Leben, das mir einmal vertraut war. Doch ich weiß, dass meine Sehnsucht nichts an dem ändern wird, was in den nächsten Wochen bis ins neue Jahr hinein geschehen wird. Das Einzige, was ich ändern kann, ist – mich selbst ändern. Und deshalb freue ich mich auf Advent. Weil eine andere Geschichte erzählt wird. Keine aus der Vergangenheit, sondern eine, die aus der Zukunft zu mir und nicht nur zu mir kommt, sondern zu jeder und jedem, die die Augen öffnen und ihr Herz heben und dem entgegengehen möchten, der angekündigt wird. Das hat wenig mit Adventsmärkten und Glühwein zu tun. Aber gewiss mit dem warmen Licht der Kerzen, die ich in diesem Jahr viel bewusster entzünden werde. Ich darf ein anderer werden – nämlich einer, der sich freut auf die kleinen Zeichen der Zuversicht, der Geduld, und dass andere mir Mut zusprechen. Ich freue mich, dass ich Worte und Lieder der Zuversicht hören und sagen darf. Hören wir hin, auf die alten Worte vom Warten und von der Freude. Vor langer Zeit aufgeschrieben vom Propheten Sacharja, modern übersetzt:
Jauchze sehr, Tochter Zion, rufe, Tochter Jerusalem: ‚Siehe, dein König kommt zu dir, der ein Gerechter und ein Rettender ist, der ein Armer und ein Reitender auf einem Esel und auf einem Eselsfüllen, dem Sohn von Eselinnen, ist!‘ [Der sagt:] ‚Ich rotte die Streitwägen über Ephraim aus und die Reiterei über Jerusalem und zerschlage den Bogen des Krieges.‘ Und er ruft aus Frieden für die Völker. Und seine Herrschaft wird von Meer zu Meer sein und vom Strom bis zu den Enden des Landes. (Übersetzung: Rainer Stahl, Erlangen)
Aufgeschrieben im 3. Jahrhundert vor Christus, als Jerusalem ein Spielball mächtiger Staaten war, die sich gegenseitig Konkurrenz gemacht haben, aus dem Süden die Ptolemäer aus Ägypten, aus dem Nordosten die Seleukiden aus dem Irak und Syrien. Niedergedrückt und ohne Macht, das eigene Schicksal zu bestimmen, das war Jerusalem.
Was ich gerade gelesen habe, sind nur zwei Hoffnungsverse des Propheten Sacharja, dessen ganze Botschaft lautet: Es gibt ein Raunen in der Welt, ein Summen und Flüstern unter allen Völkern, dass schon Friede ist, auch wenn noch niemand sagen kann, wo dieser Friede sein wird. Die Kunde von dem, was kommen wird, breitet sich aus. Wie gesagt, es ist mehr ein Raunen unter den Völkern. Es hat nichts mit den offiziellen Verlautbarungen der Regierungen, der Presseämter, der Medien zu tun – nein, im Gegenteil, es ist lediglich ein Raunen von wenigen Mündern, das querläuft zu den großen Wortgeräuschen, die mit eigener Autorität bestimmen wollen, was wichtig sei in unserer Gesellschaft, in Europa und der ganzen Welt. Und mit dem Rauschen der Querdenker und Besserwisser hat es auch nichts zu tun, nichts mit den Denkblasen des Internets, nicht mit den Echokammern, die nur die eigene Meinung bestätigen. Nein, dieses Rauschen meine ich nicht.
Es gibt ein Raunen in der Welt von einer Hoffnungsgeschichte, die die ganze Wirklichkeit, in der Menschen meinen zu leben, gegen den Strich bürstet. Das Raunen sagt, dass etwas von Gott zu uns kommt, das anders ist als alles, was sonst auf uns einredet, uns einschwören und bestimmen will. Hörst du, was geraunt wird? Jauchze sehr, Tochter Zion, rufe, Tochter Jerusalem: ‚Siehe, dein König kommt zu dir, der ein Gerechter und ein Rettender ist, der ein Armer und ein Reitender auf einem Esel und auf einem Eselsfüllen, dem Sohn von Eselinnen, ist!‘
Und jede und jeder von uns, die in Gebet und Lied und Hoffnung und Zuversicht und Geduld den anrufen, von dem hier die Rede ist, ist Teil dieses Raunens. Warum nur ein Raunen? Weil die Botschaft offenbar und dennoch verborgen ist. Das Raunen ist im besten Sinne des Wortes ‚konspirativ‘. Leider hat das Wort einen negativen Klang, weil es den Argwohn der Mächtigen weckt, konspirativ sein macht verdächtig. Das lateinische Wort spirare heißt atmen, hauchen, wehen, ausatmen. Also meint conspirare das, was wir gemeinsam atmen, hauchen, ausatmen, zum Leben bringen. Das, was ausgehaucht, was geraunt wird, lässt sich nicht mit Gewalt und Zwang in Sprache oder Tat auf die Welt bringen. Das findet seinen Weg anders. Weil es eine andere Botschaft hat:
Ein armer König kommt auf einem Esel. Wie kann ein Esel Ruhe in meine Ungeduld bringen? Wie kann ein Esel meine Hoffnungsarmut durchkreuzen? Vielleicht muss ich meine Erwartung zurechtrücken. Auf den Richtigen warten. Nicht auf das Pferd, das Tier der Mächtigen und Herrscher. Nicht auf den Starken, der sagt, wo es lang geht, nicht auf den Boss, der durchgreift. Denn darin liegen kein Frieden, keine Ruhe. Wartet auf den Esel, das Lasttier der Armen! Das Bild setzt sich fest in meinem Herzen. Der Esel trägt die schwangere Frau von Nazareth nach Bethlehem. Er steht daneben, als Hirten und Weise ihre Aufwartung machen und die Engel vom Frieden auf Erden singen. Ein neugeborenes Kind und ein Esel. Nicht gerade den Erwartungen entsprechend. Konspiratives Gerede, nur ein Raunen.
Ein König, der nicht königlich ist, rettet mein Herz? Mehr noch: Rettet die ganze Welt? 30 Jahre später: Derselbe Mann reitet auf einem Esel nach Jerusalem. Der Friedensbringer, der Tod-Überwinder, der Leben-Teiler. Für unsere jüdischen Geschwister gilt nach wie vor die Botschaft von dem, der kommen wird. Wir Christen wagen viel, zu glauben, dass der verheißene König in der Krippe liegt. Obwohl die Krippe dieselbe Botschaft wie der Esel verkündet: Das, was arm und bedürftig ist, ist unsere Rettung. Davon raunen auch wir. Mag sein, dass andere Geräusche und anderes Rauschen lauter sind. Dennoch: Es ist ein Raunen in der Welt. Manchmal klingt das Raunen auch jubelnd und schön: Tochter Zion, freue dich! Jauchze laut, Jerusalem! Ein Armer und ein Reitender auf einem Esel und auf einem Eselsfüllen, dem Sohn von Eselinnen, ist auf dem Weg zu dir. Mit einem Esel fängt alles an. Und es geht immer weiter, um die ganze Welt. Das Beste kommt noch. Du darfst ihn erwarten. Und so warte ich auf ihn. Dass er kommt! In die Unruhe meiner Gedanken, in die Sorgen meiner Konflikte, in die Vorfreude und in den Überdruss, in die Dunkelheit der Pandemie und in die Trostlosigkeit der Einsamkeit. In die Ungeborgenheit. Er kommt – dir und mir zum Trost und zum Frieden. Denn er teilt es. Das Leben, das Leiden. Die Schwachheit und die Bedürftigkeit. (…) Freue dich, Pfaffenhofen – jauchze laut, Franken! Lass ihn eintreten, vertraue ihm. Kriegsgeräte werden verwandelt werden. Wortspeere verlieren ihre Schärfe und ihre Spitze. Es wird Frieden sein. Frieden in den Familien. Auch wenn nicht alles dem Bilderbuch entspricht. Es wird Frieden sein in dir. Denn du hast einen an der Seite, der dich kennt. Wer auf einem Esel reitet, sitzt auch neben dir auf dem Sofa. Es wird Frieden sein in der Welt. Auch wenn du es noch nicht siehst und spürst. Aber er kommt. Er ist schon da. Freue dich, du Tochter Pfaffenhofen!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der stärker ist als alle Kräfte der Vergangenheit, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Eberhard Hadem 29. November 2020
Was kursiv und grün geschrieben ist: Text aus Predigt von Pfarrerin Prof. Dr. Sibylle Rolf, Oftersheim bei Heidelberg vom 29.11.2020