Predigt am Erntedankfest
4. Oktober 2020 Pfaffenhofen
Impressionen vom Gottesdienst finden Sie in unserer Bilder-Galerie.
Predigtwort: Markus 8, 1-9
Zu der Zeit, als wieder eine große Menge da war und sie nichts zu essen hatten, rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Mich jammert das Volk, denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen. Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe, würden sie auf dem Wege verschmachten; denn einige sind von ferne gekommen. Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde, dass wir sie sättigen? Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie sprachen: Sieben. Und er gebot dem Volk, sich auf die Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern, dass sie sie austeilten, und sie teilten sie unter das Volk aus. Sie hatten auch einige Fische; und er sprach den Segen darüber und ließ auch diese austeilen. Und sie aßen und wurden satt. Und sie sammelten die übrigen Brocken auf, sieben Körbe voll. Es waren aber etwa viertausend; und er ließ sie gehen.
Liebe Gemeinde
Das Evangelium des heutigen Sonntags erzählt davon, dass Jesus als guter Pädagoge seinen Jüngern etwas beibringen möchte. Er weckt das Mitgefühl bei ihnen, als er ihnen sagt, welche Sorgen er sich um die vielen Menschen macht, die schon drei Tage ohne was zu essen bei ihm ausharren würden. Und würde er sie nach Hause schicken, dann könnten die meisten von ihnen verhungern, weil sie von ferne her gekommen sind. Da machen sich die Jünger die Sorge Jesu zu ihrer Sorge und fragen sich hilflos: ‚Wo in aller Welt sollen wir in dieser Einöde etwas zu essen herbekommen?‘ Und dann sind es nur sieben Brote, und seine Jünger teilen sie aus an alle, die sich zum Essen niedergesetzt haben und alle werden satt. Und am Schluss ist sogar noch was übrig, mehr als sie vorher dabei hatten, da waren es sieben Brote, jetzt sind es sogar sieben Körbe mit Brotbrocken voll.
In verschiedenen Varianten kommt diese Geschichte in der Bibel immer wieder vor. Alle Geschichten haben immer dieselbe einfache Grundidee: ‚Wir dachten, wir hätten nichts oder nicht genug. Dann haben wir erlebt, dass es für alle reicht.‘ Mal sind es bei Jesus dreitausend oder fünftausend Menschen, hier sind es viertausend – und für sie alle ist zu wenig da. Mal sind es weniger Menschen, aber immerhin eine ganze Sippe wie bei Jakob, als die Hungernot seine Söhne zwang, nach Ägypten zu reisen und sie um Weizen betteln mussten bei ihrem Bruder Josef, den sie eigentlich hassten. In einer anderen Hungersnot bei den Samaritern wird von drei Menschen erzählt, dem Propheten Elia, der bei einer armen Witwe und ihrem Sohn einkehrte, die ihren Lebensmut schon verloren hatten. Dieser Witwe rief er zu, nachdem sie ihm Wasser gebracht hatte:
Bringe mir auch einen Bissen Brot mit! Sie sprach: Ich habe nichts Gebackenes, nur eine Handvoll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Und siehe, ich habe ein Scheit Holz oder zwei aufgelesen und gehe heim und will's mir und meinem Sohn zubereiten, dass wir essen – und sterben. Elia sprach zu ihr: Fürchte dich nicht! Geh hin und mach's, wie du gesagt hast. Doch mache zuerst mir etwas Gebackenes davon und bringe mir's heraus; dir aber und deinem Sohn sollst du danach auch etwas backen. Denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der Herr regnen lassen wird auf Erden. Sie ging hin und tat, wie Elia gesagt hatte. Und er aß und sie auch und ihr Sohn Tag um Tag. Das Mehl im Topf wurde nicht verzehrt, und dem Ölkrug mangelte nichts nach dem Wort des Herrn, das er geredet hatte durch Elia. (1. Könige 17, 12-16)
Nach einem mittelalterlichen Märchen des Rabbi Haim von Rumszyszki in Litauen wird jene Geschichte nacherzählt, dass ein Gast eine Nacht im Kloster verbrachte, weil er von den Mönchen eine Antwort wissen wollte auf seine Fragen: Was ist der Himmel? Und was ist die Hölle? Doch keiner der Mönche konnte es ihm so richtig erklären. Darum ging der Gast etwas unzufrieden in einer kargen Mönchszelle schlafen. In der Nacht hatte er einen Traum, dass er gestorben und mit anderen zusammen an einem Ort war. Und sie hatten vor sich einen gehäuften Teller mit Gemüse und Fleisch aus dem Eintopf, dass allen eigentlich das Wasser im Mund hätte zusammenlaufen müssen, aber – die Löffel waren viel zu groß, mit ihnen konnten sie den köstlichen Eintopf nicht zu ihrem Mund führen und so saßen sie traurig und abgemagert da, gestützt auf ihre großen Löffel. Erschrocken war der Gast aufgewacht und unruhig wieder eingeschlafen. Am Morgen lief er zu den Mönchen, erzählte seinen Traum und fragte, was er bedeuten solle. Die Mönche meinten, er solle noch eine Nacht bei ihnen verbringen und schauen, was er in der darauffolgenden Nacht träumen würde. Und so kam es, dass der Gast am zweiten Abend mit bangem Herzen einschlief und wieder einen Traum hatte. Wieder kam er mit anderen zusammen und sie hatten vor sich denselben Eintopf und dieselben übergroßen Löffel wie die anderen in der Nacht zuvor, aber diese hier waren fröhlich, sie lachten, waren gut genährt, sangen Lieder – und wenn jemand etwas essen wollte, dann nahm einer seinen Löffel und fütterte den anderen quer über den Tisch und so wurden alle satt. Da wusste der Gast im Kloster, was Himmel und Hölle war. Im Himmel ist alles da – und alle werden satt. In der Hölle ist auch alles da – doch niemand wird satt.
Nun wird vielleicht jemand sagen, dass sich jeder nicht nur theoretisch, sondern auch märchenpraktisch erklären kann, wie die Löffel nur anders benutzt werden müssen, damit alle satt werden. In der Brotgeschichte mit Jesus ist das anders. In den 2000 Jahren, seit diese Geschichte erzählt wurde, sind allerlei vernünftige Erklärungen gesucht und gefunden worden. In der Einöde dort habe es auch große Felsen gegeben mit Höhlen, da habe Jesus schon vor den drei Wüstentagen genügend Brot bunkern können und die Jüngern hätten nur immer wieder heimlich und vom Volk unbemerkt in die Höhlen laufen müssen um das Brot für alle zu holen. Oder vielleicht waren es auch eher die Jünger, die sich gesagt haben, wenn der Meister in die Einöde will, dann mag er ja wie immer von Luft und Beten leben können, aber wir sorgen dafür, dass wir satt werden und verstecken vorher schon etwas in der Nähe. Andere Ausleger der Bibel meinten, das Volk wäre ja nicht doof gewesen, die hätten natürlich genügend zu essen dabei gehabt; die wussten doch genau, wenn es in die Einöde geht, muss sich jeder um sich selber kümmern. Aber niemand hätte offen sagen dürfen, dass er Brot dabei habe, verborgen im Gewand, denn womöglich hätte der eine oder andere sie aus Futterneid erschlagen um an das lebensrettende Brot zu kommen. Erst, als dann alle miteinander geteilt haben, da haben auch sie das letzte Stückchen Brot geteilt, das sie eigentlich nur für sich mitgenommen hatten. Auch eine schöne Erklärung. Und vermutlich gibt es noch mehr Ideen, die das Wunder der Brotvermehrung auf ganz rationale Art erklären könnten.
Doch das eigentliche Wunder ist ja nicht die Brotvermehrung, sondern etwas ganz anderes: Das Wunder ist das Vertrauen der Menschen, die etwas beginnen, was unlogisch, sinnlos, ineffektiv, verantwortungslos und albern ist. Sieben Brote für so viele Menschen, so ein Quatsch, werden auch heute noch einige sagen. Bis sie merken, dass das Wunder in der Umkehr des Herzens liegt, das vertraut, wo es nichts gibt, warum ich vertrauen sollte. Im Brief an die Hebräer (11,1) heißt es: Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Die Menschen in Belarus auf der Straße, die hoffen genau so, mit einem Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Dass wir uns gestern an die Wiedervereinigung vor 30 Jahren erinnern konnten, dafür sind Menschen vorher auf die Straße gegangen und sie wussten nicht, ob sie niedergeknüppelt werden würden. Sie haben damals etwas begonnen, was eigentlich nach Meinung vieler unlogisch, sinnlos, ineffektiv, verantwortungslos und albern war. Und dann wurde daraus ein Wunder, das vor unseren Augen geschehen ist.
Und wer von jenen, die damals dabei waren, könnte uns ganz genau sagen, woher das Vertrauen kam, gepaart mit großer Angst und Sorgen? Die einen vielleicht mehr, die anderen weniger. Aber vor allem: Es geschah. Und wieder gab und gibt es Erklärungen, wie das möglich war: Kaputte Wirtschaft, Glasnost in Moskau, Schabowskis Zettel, ein Journalist, der im richtigen Moment fragt, ob das ab sofort gelten würde und so vieles mehr, und selbst dann könnte man noch nicht erklären, warum dann alles anders wurde.
Gebe Gott, dass wir daraus heute in Corona-Zeit lernen würden! Das Wunder ist immer der Mut des Herzens, der Wege sucht, die nicht zu Streit und Feindschaft führen. Was eine Diktatur ist, wissen die Menschen am besten, die unter ihr gelebt haben, und nicht jene, die in einer Demokratie alles sagen dürfen – sei es auch noch so bescheuert wie die Hetzrede von der sogenannten ‚Merkel-Diktatur‘ – und die dafür in Deutschland nicht ins Gefängnis kommen wie andere in Belarus, die Freiheit suchen.
Das Wunder ist das Vertrauen. Ich habe den Glauben immer als Vertrauen verstanden und weniger als ein Fürwahrhalten von religiösen Sachen. Er ist ein Geschenk und zugleich etwas, das ich tun kann, das lässt sich nicht gegeneinander denken. Jesus hat öfters seine Jünger ‚Kleingläubige‘ genannt, das war nie böse gemeint, sondern er wollte sie darauf aufmerksam machen, was ihnen fehlt. Deshalb heißt es auch so oft in der Bibel ‚Fürchte dich nicht!‘ Nur wer Vertrauen hat, findet heraus, was er selber braucht. Und noch mehr: Was andere Menschen brauchen. Das kann immer etwas anderes sein. Die Söhne Jakobs haben gelernt, dass ein ganz anderer Hunger gestillt wurde, als sie sich mit ihrem Bruder Josef versöhnt haben. Die arme Witwe wagte ihr letztes Mehl und Öl zu geben und fand zurück zu neuem Lebensmut. Die Jünger, so erzählt es Markus, bekamen die sieben Brote in die Hand und haben sich bestimmt kopfschüttelnd auf den Weg gemacht zu den hungernden Menschen am Boden. Aber sie haben sich bewegt, haben sich dem Vertrauen überlassen, das von Jesus an sie mit jedem Stück Brot weitergegeben wurde – und wie es dann geschah, wer weiß es? Es geschah. Darauf kommt es an.
Worauf sich das Vertrauen richtet, das kann sich ändern – aber ohne Vertrauen wird kein Wunder geschehen. Ob Versöhnung wie bei Josef, Lebensmut wie bei der armen Witwe, Freiheit in Deutschland und Belarus oder auch ganz anderes – Es wird berichtet, dass sie staunten. Denn möglich ist, das sahen sie, das Unmögliche bei ihm, bei Christus, unserem Bruder, dessen Schwestern und Brüder wir sind.
Und der Friede Gottes, der manchmal erheblich höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in ihm, unseren Bruder in Christus: Jesus. Amen.
Eberhard Hadem 3. Oktober 2020