Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias,
Pfaffenhofen 24. Januar 2021 von Elisabeth Düfel
Predigtwort: Ruth, 1, 1-19a
Liebe Gemeinde,
Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. So manchem von ihnen ist dieser Spruch sicher als Trauspruch bekannt. Vielleicht ist es ja sogar der Trauspruch von jemand unter uns. Er stammt aus dem Buch Ruth im Alten Testament und ist im heutigen Predigttext zu finden. Ich lese ihn nicht, sondern erzähle die Geschichte, aus dem er stammt.
Ursprünglich hat er nichts mit einer Hochzeit zu tun, sondern seinen Platz im Leben zweier Frauen, sie heißen Noomi und Ruth. Sie haben eine bewegende Geschichte miteinander, die im Buch Ruth des Alten Testaments aufgeschrieben ist, ein ganz kleines Buch im Alten Testament, oft übersieht man es. Aber es enthält die einzige zusammenhängende Geschichte in der Bibel, die aus der Perspektive von Frauen erzählt wird.
Noomi ist verheiratet mit Elimelech aus Bethlehem, so erzählt es der Autor dieses kleinen Buches im AT. Dass die Familie aus Bethlehem kommt wird später noch wichtig sein, davon hören wir noch.
Es herrscht eine Hungernot zu ihrer Zeit. Wovon sollen sie leben, womit ihr Geld verdienen und die vierköpfige Familie ernähren? Sie haben nämlich zwei Söhne. Sie beschließen zu fliehen. Wohin? In das benachbarte Moab, in ein Land, das mit den Israeliten verfeindet war. Es gab sogar ein fremdenfeindliches Gesetz, nachdem Menschen aus beiden Völkern sich nicht heiraten durften.
Noomis Mann, Elimelech, starb bald. Noomi wurde Witwe und blieb allein mit den beiden Söhnen. Ihre Söhne schienen sich in der Fremde zu beheimaten und ungeachtet der Gesetze zwei moabitische Frauen zu heiraten – Orpa und Ruth. Mutig waren sie alle, sie setzten sich über Konventionen hinweg.
Das Glück dauerte nicht lange, und beide Söhne starben. Die wichtigsten Bezugspersonen waren nicht mehr am Leben, die ihr Schutz und materielle Sicherheit gaben. Drei Frauen waren es nun, allein – alle ohne Kinder.
Noomi hielt nichts mehr im fremden Land, in dem sie so viel verloren hatte. Sie wollte zurück in ihre Heimat Bethlehem, in der es längst wieder genug Nahrung gab. Ihre beiden Schweigertöchter begleiteten sie.
Doch auf dem Weg wurde Noomi klar, dass ihre Schwiegertöchter in ihrer Heimat keine gute Zukunft haben würden, und in ihrer eigenen Heimat Moab mehr Möglichkeiten haben würden. Und sie wollte beide zurückschicken. Orpa trennte sich schweren Herzens von ihr.
Aber Ruth hatte ihren eigenen Kopf. Und sie sagte fest entschlossen: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch. Der Herr tue mir dies und das, nur der Tod wird uns scheiden.“ Das waren klare Worte und eindeutig, Ruth würde nicht von der Seite Noomis weichen. Sie blieb mit Noomi auf dem Weg.
Was lösen diese Worte von Ruth ihrer Schwiegermutter gegenüber aus? Enttäuschung, weil es gar nicht so romantisch ist wie gedacht? Berührt sie diese Geschichte von Mitmenschlichkeit und Treue, weil hier eine die andere nicht alleine ziehen lässt? Sie begleiten will, was auch kommt bis zuletzt? Berührt Sie diese Geschichte, weil hier Menschen aus verfeindeten Ländern sich von den Grenzen nicht abhalten lassen, sondern einfach als Menschen begegnen und die Liebe offensichtlich stärker ist als diese Grenzen, die die Menschen aufgezogen haben?
Bewundern Sie den Mut von Ruth, die alles hinter sich lässt, ihre Heimat, ihre eigenen Familie und Erwartungen an sie hintanstellt und ihren eigenen Weg geht und aufbricht in ein neues, ihr noch fremdes Land? Ist Ihnen das Leben Noomis vertraut, die aufgebrochen war in ein fremdes Land und so viel verloren hat? Vielleicht würde jemand unter uns sagen: Das ist heftig, was Ruth macht, die alles aufgibt. Das könnte ich nicht, meine Familie, meine Heimat, meinen Glauben zurücklassen. Orpa ist mir näher als Ruth, die in ihrem Land bleibt und nicht mit Noomi und Ruth zieht. Vielleicht sind auch zwei Seelen in Ihrer Brust. Vielleicht hören manche in dieser Pandemiesituation das „deins ist meins“ so, dass es ihnen zu viel nach Nähe klingt und sie froh sind, mal das das eigene zu haben, wenn man sich ständig auf der Pelle sitzt. Andere wiederum sehnen sich nach dem „deins ist meins“, nach Begleitung und Nähe.
Mich beschäftigt an der Geschichte von Ruth: Was ist denn eigentlich deins und meins? Wissen wir das so genau? Wie würden wir mein Volk beschreiben, und damit ist ja vielmehr als eine Nation gemeint, die Familie, die Freunde, die Gemeinde? Was mein Gott ist? Und wohin wir gehen wollen? Und das ist das des anderen? Wissen wir das so genau? Manchmal merken wir es ja an Stellen mitten im Alltag, dass hier Unterschiede bestehen, schon alleine daran, wenn es darum geht, wenn Menschen zusammen leben, wie der Weihnachtsbaum geschmückt werden soll? Oder ob die Kinder getauft werden sollen, ob evangelisch oder katholisch, wenn Eltern aus unterschiedlichen Konfessionen kommen oder wenn einer gerne in die Kirche möchte und dem anderen das gar nichts bedeutet? Und da wird dann deutlich, dass meins nicht gleich deins ist.
Es geht hier nicht um die Israeliten und die Moabiter, sondern um zwei Menschen, die einander begegnen, die sich öffnen füreinander, es geht für mich darum, nicht nur das Seine zu sehen, sondern sich auf das des Anderen einzulassen. Bei sich Raum zu haben für die Welt des anderen, in der er lebt, nicht nur für meine eigene. Das des Anderen wie das Eigene achten – dein Volk ist meines heißt ja nicht, dass das Volk des Anderen nicht mehr zu ihm gehört.
Was heißt das für unser Zusammenleben mit Menschen, die aus andern Ländern unter uns leben? Dass es nicht die Türken sind, oder die Iraner, oder die Juden oder die Muslime, sondern Menschen mit einer Familie, mit Freunden, mit eigenen Gebräuchen… Dein Gott ist mein Gott – das heißt für mich nicht, den eigenen Glauben aufgeben, aber den Glauben des anderen als wichtig erachten wie den meinen, als wäre er ein Teil von mir. Was könnte das heißen für einen interreligiösen Dialog, wenn Menschen unterschiedlicher Religionen zusammenleben in einem Land? Für das Gespräch über den Glauben in einer Gemeinde, in der Familie, in der ganz unterschiedliche Arten zu glauben da sind?
Es ist für mich bewegend, dass Ruth zu Noomi sagt: „Dein Gott ist mein Gott“, wobei sie erlebt hat, wie Noomi mit ihrem Gott ringt, wenn sie sagt: Gott hat mich geschlagen, er hat mir den Mann und die Söhne genommen. Noomi ringt mit ihrem Gott und da sagt Ruth: Ich lasse dich nicht allein damit mit deinem Ringen, ich steh da nicht drüber und weiß alles besser.
Dass Ruth sich so öffnen konnte, ein Raum für Noomi entstand, ist nicht vom Himmel gefallen, sie waren lange miteinander unterwegs, und ihr Weg ist ja auch weitergegangen…
Das Spannende an der Geschichte von Ruth ist, dass sie noch einmal auftaucht in der Bibel, im Stammbaum Jesu. Als ob der Schreiber des Evangeliums nach Matthäus sagen wollte: Im Leben von Ruth und ihrer Geschichte ist etwas von Gottes Heilsgeschichte mit den Menschen aufgeleuchtet.
Gott ist Mensch geworden, das ist die Botschaft von Weihnachten, er hat das unsere zu seinem gemacht, euers ist auch meins. Ich bin für alle Menschen da, nicht für ein bestimmtes Volk, für eine bestimmte Gruppe, auch für dich. Jesus hat die Menschen heraus gerufen in seine Nachfolge als Schwestern und Brüder, über alle Grenzen hinweg.
Er hat ihnen die Herzen geweitet füreinander. Er schenkt uns diese Weite auch heute gerade jetzt wo wir in unseren vier Wänden hocken, mehr oder weniger, es eng wird in den Familien, wenn Einsamkeit die Herzen eng macht, wenn wir uns in der Gemeinde an so vielen Stellen nicht treffen können, einander nicht wahrnehmen können, schenkt uns die Weite hin zum Anderen, dass wir uns nicht aus den Augen verlieren, die Schwester und Brüder im Hans-Roser-Haus und Augustinum, die Konfis, die keinen Konfiunterricht haben können wir die anderen sonst, kein Praktikum, keine Freizeit, die die anderen vermissen, die Jugendlichen, die Kinder, die unsere Kindergärten nicht besuchen können, denen die anderen Kinder fehlen, die Familien, die alles gleichzeitig managen müssen, die, die ihre Angehörige nicht mehr begleiten konnten, die gestorben sind in den Kliniken und Seniorenheimen.
Liebe Gemeinde, manchmal bekommen alt bekannte Bibelworte neue Perspektiven – neue Weite – so wie bei diesem Versprechen: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.
Wenn Sie wissen wollen, wie die Geschichte von Noomi und Ruth ausgegangen ist, dann lesen Sie weiter: eine bewegende anrührende Geschichte, eine Segensgeschichte. Sie finden das Buch Ruth in der Bibel hinter dem Buch der Richter, es ist ganz klein.
Elisabeth Düfel 24.01.2021